27.08.2015:
Rede des VS-Vorsitzenden zur Demonstration: „Gegen staatliche Überwachung.“
Tenko Glenn Bauer sprach auf der Demo „Gegen staatliche Überwachung. Den Heidelberger Spitzelskandal vollständig aufklären!“, am 22.08.15. Dokumentation der Rede
Liebe Kritiker des Überwachungsstaates, liebe unbeteiligte Dritte, liebe Überwachte,
ich spreche hier heute für den StuRa der Universität Heidelberg. Mein Name ist Tenko Glenn Bauer und ich bin der Vorsitzende dieser Studierendenvertretung. Ich kann und darf heute aus zwei Gründen zu euch sprechen: Zunächst einmal weil es seit 2013 überhaupt wieder eine gesetzliche Studierendenvertretung gibt. Nach 36 Jahren staatlich verordneter Sprachlosigkeit dürfen wir Studierenden in Baden-Württemberg uns endlich wieder selbst vertreten. Zum anderen, da wir uns auf unserer letzten Sitzung klar zum Heidelberger Spitzelskandal positioniert haben. Darin verurteilen wir den Einsatz des Verdeckten Ermittlers Simon Brenner als einen Akt staatlicher Überwachung. Doch bevor ich euch mehr erzähle muss ich erst einen kurzen Blick auf euch werfen wie ihr hier heute versammelt seid.
Denn im Polizeigesetz Baden-Württemberg, das als Grundlage für den Einsatz des Verdeckten Ermittlers mit dem Tarnnamen Simon Brenner hätte dienen sollen, heißt es, dass Verdeckte Ermittler lediglich bei sog. „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ bzw. erheblicher unmittelbarer Gefährdung angeordnet werden dürfen. Nun richtete sich der Einsatz de facto aber nicht gegen ein konkreten Ziel, sondern gegen uns alle. Teils weil wir einer bestimmten Szene angehörten – der Linken –, teils weil wir einer verdächtigen sozialen Gruppe angehörten – den Studierenden – oder teils weil wir einfach die falschen Leute kannten – vermutlich die Person, die gerade neben euch steht. Die konkrete Einsatzpraxis lässt also darauf schließen, dass die Verantwortlichen die Gefahrenlage nicht bei spezifischen Personen verorteten, sondern bei einem nicht näher bestimmbaren Personenzusammenhang, die Gefahr läge nicht bei einer bestimmten Gruppe, sondern einem Gruppennetzwerk, die Gefahr wäre also nicht konkret sondern abstrakt!
In diesem Wissen, dass die Polizei hier eine derart hohe abstrakte unmittelbare Gefährdung sah, muss ich dann doch mal in die Runde schauen und mich fragen ob ich das nachvollziehen kann, ob ihr hier eine derartige abstrakte Gefahr darstellt, dass ihr einen massiven Eingriff in Grundrechte gewährleistet.... [längerer, schweifender, bedächtiger Blick mit ein paar abschätzenden Lauten]. Nein – sry, ich denke, ihr bringt es einfach nicht. Eine abstrakte Gefahr in Verzug, ich spüre sie leider echt nicht von euch.
Doch ich will diese Sache nicht weiter ins Lächerliche ziehen. Der Einsatz ist zu Ernst als dass ich mir mehr als einen Witz in dieser Rede erlauben wollte. Lieber rede ich weiter über den Einsatz und wie wir uns als StuRa diesbezüglich positioniert haben.
Im November 2009 trat der Verdeckte Ermittler des LKA Simon Brenner (Tarnname) das erste Mal an der Universität Heidelberg in Erscheinung. Er stellte sich bei an einem Infotag der Universität bei einem Infostand von Die Linke.SDS (Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband) vor und gab an zum Sommersemester 2010 mit dem Studium beginnen zu wollen. Ab Sommersemester 2010 war er dort eingeschrieben und brachte sich von da an in mehreren politischen Hochschulgruppen ein, so unter anderem zunächst primär in Die Linke.SDS, später dann in der mittlerweile aufgelösten Kritischen Initiative. Darüber hinaus, war auch der BUND von dem Einsatz betroffen und verlangt Aufklärung. Der Verdeckte Ermittler nahm bei Bildungsstreik-Demonstrationen, Anti-Atom-Demonstrationen und antifaschistischen Demonstrationen teil. Er schlich sich in das Privatleben von politisch Aktiven ein, ging mit ihnen Abends ein Bier trinken, feierte mit ihnen Geburtstage, fuhr mit ihnen auf überregionale Veranstaltungen, so etwa zu einer hochschulpolitischen Veranstaltung der Linksfraktion im Bundestag in Berlin. Mehrfach war er sogar in Elternhäusern von politisch engagierten Studierenden zu Gast.
Er führte nicht nur Personen der politischen Szene hinters Licht, sondern auch seine Kommiliton*innen, Dozierende, die Fachschaften Ethnologie und Soziologie sowie die Universität. Versteht mich nicht falsch: ich will nicht zwischen gerechtfertigten und ungerechtfertigten Opfern des Spitzeleinsatzes unterscheiden. Ich halte diesen ganzen Einsatz für rechtswidrig, somit gibt es keine Opfer erster und zweiter Klasse. Es gibt in diesem Fall keine gerechtfertigt Bespitzelten. Alle vom Spitzeleinsatz Betroffenen genießen die Solidarität der Studierendenvertretung. Auch muss aber gesagt werden, dass die Fachschaft Ethnologie, die Fachschaft Soziologie und die Universität erstmal weder links noch rechts sind. Sie sind schlicht die Fachschaft Ethnologie, die Fachschaft Soziologie und die Universität. Dieses Hinterlichtführen ging so weit, dass die Universitätsleitung selbst nichts davon wusste, dass er aber entgegen des Wissens der Universität regulär als Studierender eingeschrieben und damit auch einen Studierendenausweis besaß. Zudem wurde eine Abhörwanze in den Räumen der Studierendenvertretung gefunden.
Der Einsatz ist damit nicht nur die Kriminalisierung einer in den Repressionsbehörden politisch misslieben Haltung, sondern auch ein Angriff auf die Universitätsautonomie und widerspricht dem Ziel von demokratischen Universtitäten in einer demokratischen Gesellschaft. Da der Spitzel als lebende Kamera in massenhaften Kontakt mit völlig unbeteiligten Dritten kam, ist es zudem eine faktische Überwachung aller Heidelberger Studierenden. Das Wesen der Universität, das als akademischer Freiraum auf freiem und kritischen Denken basiert, wird durch einen solchen Einsatz korrumpiert.
Wenn die Bekannten des Dunstkreises des Umfeldes wie im Falle Simon Brenner überwacht werden, dann kann jeder Studi, ja eigentliche jede Person, die irgendwie in Heidelberg mit der Studi- oder der politischen Szene zu tun hat Opfer dieser Überwachung werden. Es gibt dann keine Nicht-Betroffenen.
Doch selbst wenn von diesem Einsatz oder einem zukünftigen Einsatz nur eine Hand voll Personen oder eine Gruppe betroffen wäre, sollte wir uns in dem Wissen auf welch nicht vorhandener Basis solche Einsätze durchgeführt werden, auf welcher nicht vorhandener Basis Menschen kriminialisiert werden, niemals von diesen abwenden, sondern uns stattdessen an Brecht erinnern, der schrieb: „Wie immer sie euch mitspielen, gebt keinen euresgleichen auf.“ All diese verdienen unsere Solidarität.
Die Bespitzelung von Strukturen der studentischen Selbstverwaltung ist leider kein Heidelberger Einzelfall. In Hannover schrieb sich im Herbst 1998 eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes für ein Studium der Sozialwissenschaften ein. Sie arbeitete in einem linken studentischen Café mit. Von Mail 1999 bis April 2001 war sie Referentin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit des ASTA der Universität Hannover. Daneben arbeitete sie in verschiedenen ökologischen und linken Initiativen mit, so etwa einer Anti-AKW-Gruppe. Die meiste Zeit ihres Einsatzes lebte sie in einer WG mit anderen politisch Aktiven zusammen. Mitte August 2002 hat sie sich gegenüber einer befreundeten Person selbst enttarnt.
Man muss sich diesen Vorgang einmal auf der Zunge vergehen lassen. Eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes fungierte zwei Jahre lang als Öffentlichkeitsreferentin des Asta als offizielle Stimme der Studierenden. Sie hatte dabei Zugriff auf sämtliche Unterlagen und Dateien von diversen politischen Gruppen, welche die Infrastruktur des ASTA nutzten.
Wir Aktiven haben es satt, dass eine jede selbstbewusste, unabhängige und kritische Studierendenvertretung sich automatisch in der Phantasie der sogenannten „Sicherheitsbehörden“ zu einer Brutstätte von Kriminalität und Gewalt verwandelt. Schon 1977 als die Verfasste Studierendenschaft unter dem Ministerpräsidenten und Altnazi Hans Filbinger in Baden-Württemberg abgeschafft wurde, geschah dies mit der Begründung, dass die Studierendenvertretungen eine Brutstätte des Linksterrorismus wären – was für ein absurder Mythos! Eines will ich den Sicherheitsbehörden versprechen: wir werden uns nicht erneut wieder kriminalisieren lassen, aber wir werden dies auch nicht tun um den Preis tun unsere unabhängige und kritische Haltung aufzugeben. Euren Mythos lassen wir uns nicht aufdrängen!
Schon damals war die Botschaft, dass zum Willen der Ordnung notfalls auch die Demokratie weichen muss. Ein Muster das sich heute wiederholt. Diese Muster wiederholt sich auf Bundesebene wenn die deutsche Regierung sich weigert die NSA-Selektorenliste dem Parlament und der Öffentlichkeit zu präsentieren und es wiederholt sich auf internationaler Ebene, wenn selbst BND-Mitarbeiter als Spitzel für die CIA fungieren, wogegen nun Anklage erhoben wurde.
Viele ganz verschiedene Gruppen aus unterschiedlichsten politischen Szenen mit unterschiedlichsten Schwerpunkten setzen sich gegen Überwachung ein. Manche sprechen auch lieber von Repression, Herrschaft oder Kontrolle. Ich glaube, dass wir uns in diesem Kampf gegen Überwachung von den teils erheblichen kulturellen Unterschieden nicht spalten lassen dürfen. Akteure wie der Chaos Computer Club, das bürgerliche Freiheit statt Angst-Bündnis, netzpolitik.org, die Rote Hilfe oder Protestbündnisse gegen diverse Innenministerkonferenzen. Sie alle kämpfen den gleichen Kampf gegen Überwachung, Repression und die Abschaffung die Rechtsstaatlichkeit.
Viele Fragen, an denen die Studierenden der Universität Heidelberg ein Aufklärungsinteresse haben, sind weiterhin nicht abschließend geklärt. So etwa ob es – wie es Hinweise nahelegen – weitere Verdeckte Ermittler gegeben hat. Was war der Grund des Spitzeleinsatzes? In welchem Umfang wurden nicht-einsatzrelevante Informationen durch den Spitzel an seine Vorgesetzten weitergeleitet? Wer war alles davon betroffen? War der Heidelberger Spitzeleinsatz ein singuläres Ereignis oder ist/war es – wie der grüne Landtagsabgeordnete und Innenexperte Hans-Ulrich Sckerl angab – Teil einer Kampagne zum Einsatz von Verdeckten Ermittlern in allen Universitätsstädten? An all diesen Fragen hat die Verfasste Studierendenschaft der Universität Heidelberg ein Aufklärungsinteresse.
Wir freuen uns, dass es nun kommenden MIttwoch endlich zur Verhandlung des Spitzeleinsatzes vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe kommt. Als Studierende der Universität Heidelberg verlangen wir die vollständige Aufklärung von diesem Prozess.
Gegen Ende noch eine persönliche Bemerkung. Ich bin von Hause aus freireiligiös - eine Ausführung was das denn nun ist jetzt irrelevant. Aber nur soweit: Die Freireligiösen Gemeinden entstanden im Zuge des Vormärz und der Märzrevolution von 1848. Eines der Lieder, dass bis heute fester Bestandteil unserer Veranstaltungen ist, kennt so ziemlich jeder. Es ist dieses Lied, an dass ich beim Lesen von jedem Bericht über staatliche Überwachung, egal durch wen, denken muss. Die erste Strophe kennt ihr alle:
Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten,
sie fliehen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei.
Es gibt aber noch weitere Strophen, von denen eine sehr genau klar macht, worum es eigentlich in diesem Lied geht:
Und sperrt man mich ein
im finsteren Kerker,
das alles sind rein
vergebliche Werke;
denn meine Gedanken
zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei:
die Gedanken sind frei.
Es ist ein schöner uralter Text, der mir immer wieder Hoffnung macht.. Denn wir sind in unserem Kampf gegen Überwachung nicht alleine, sondern der Kampf der Menschen gegen Repression und Unterdrückung ist so alt wie die Staatlichkeit selbst. Und am Ende setzt sich doch immer die Freiheit durch, egal wie lange es dauern mag. Mit diesem Gedanken vor Augen möchte ich schließen und rufe alle dazu auf, niemals das Ziel aus den Augen zu verlieren: eine Welt in der wir nicht mehr kämpfen, weil es niemanden mehr gibt, der uns unterdrückt.
Denn unsere Gedanken sind frei.
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