08.06.1994: Viel Bildung für wenig Geld"Gelegentliche Gedanken über Universitäten" von J.J.Engel, J.B.Erhard, F.A.Wolf, J.G.Fichte, F.D.E. Schleiermacher, K.F.Savigny, W.v.Humboldt, G.F.W.HegelDie Notwendigkeit einer Universitätsreform: ein Dauerbrenner in der deutschen Gelehrten-Diskussion. Der vorliegende Band dokumentiert die Diskussion zwischen 1802 und 1810. Daß eine Reform vonnöten sei, hatte Immanuel Kants bereits im "Streit der Fakultäten" von 1798 festgestellt. Doch dieser programmatische Aufruf stößt auf den Widerstand der konservativen Kräfte an den Universitäten. Konkreter Anlaß der dokumentierten Auseinandersetzung ist die geplante Gründung einer Universität zu Berlin. Zu verstehen ist die Diskussion aus dem Kontext der allgemeinen Reformen ab 1806 heraus (Steinsche Reformen), die auch eine Bildungsreform umfaßten. Die Wissenschaftler - nicht aber das preußische Königshaus - konzipieren eine bürgerliche Universität. Mit durchaus gegensätzlichen Modellen: Während Johann Gottlieb Fichte beispielsweise strenge Reglementierung fordert, um die Studenten von den Verlockungen der Großstadt fernzuhalten, verfechten Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt die These, daß wissenschaftliche Individualität zu ihrer Entwicklung der akademischen Freiheit bedarf. Während Fichte von der Notwendigkeit der Bändigung der menschlichen Natur durch Vernunft und Wissenschaft ausgeht, gehen Schleiermacher und Humboldt von der freien, harmonischen Befreiung des Subjekts aus naturhafter Befangenheit aus. Einig sind sich alle freilich darin, daß die Universität des einigenden Bandes der philosophischen Fakultät bedarf. Einen Anspruch, den schon Kant angemeldet hatte. Interessant die Ausführungen über die Aufgaben des Staates gegenüber der Universität, aber auch die Aussagen über die Rolle des Staates in der Gesellschaft. Der Preis von 7,50 DM macht es überflüssig, mehr zu berichten, denn 2,5 Mensamarken sollte jedeR Interessierte übrig haben. Somit ist Wilhelm von Humboldts "Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin" von 1809 (11 Seiten) gerade mal ein paar Pfennige (und die Suppe knapp 0,soundsoviel Humboldt...) wert. Ausgehend von Ulmers "Was nicht viel kostet, ist nicht viel wert..." müßte man Humboldt so zwar vermutlich aufzugeben. Aber vielleicht sollte man doch auch noch andere Maßstäbe als Geld kennen und erst nach der Lektüre entscheiden... "Gelegentliche Gedanken über Universitäten" Genetisch und OrganischAus dem besprochenen Band: "Auch nachdem durch Erfindung der Buchdruckerkunst die Bücher höchst gemein worden [...]; nachdem es keinen Zweig der Wissensschaft mehr gibt, über welchen nicht sogar ein Überfluß von Büchern vorhanden sei, hält man dennoch noch immer sich für verbunden, durch Universitäten dieses gesamte Buchwesen der Welt noch einmal zu setzen und eben dasselbe, was schon gedruckt vor Augen liegt, auch noch durch Professoren rezitieren zu lassen. Da auf diese Weise dasselbe Eine in zwei verschiedenen Formen vorhanden ist, so ermangelt die Trägheit nicht, sowohl den mündlichen Unterricht zu versäumen, indem sie ja dasselbe irgendeinmal auch aus dem Buche werden lernen können, als den durch Bücher zu vernachlässigen, indem "...aber es kommt noch überdies die besondere Bestimmung des akademischen Vortrags in Betracht, genetisch zu sein. Dies ist der wahre Vorzug der lebendigen Lehrart, daß der Lehrer nicht Resultate hinstellt, wie es der AK Hochschulreform auf der Suche nach den Wurzeln von BildungAuch auf seiner letzten Sitzung widmete sich der AK Hochschulreform den drängenden Fragen nach en Ursprüngen des Bildungsbegriffs. Im Anschluß an Humboldt auf der letzten Sitzung ging es am 1.Juni um Humboldts Zeitgenossen Schelling und Fichte. Ausgehend von deren Äußerungen über Universitäten und Wissenschaft wurde versucht, zu ergründen, inwieweit "ihre" Universität wohl heutigen Anforderungen gerecht würde. Breiten Raum nahmen die Diskussionen darüber ein, welche Form Unterricht und Prüfung haben sollten und wie verantwortliches Handeln zu vermitteln und Mißbrauch zu verhindern wären. Zwar stimmen die Vorstellungen Humboldts, Schellings und Fichtes in wichtigen Punkten nicht überein, dennoch gibt es wesentliche Gemeinsamkeiten. Alle drei Denker sehen in der Pflege der Wissenschaft die zentrale Aufgabe der Universität. Sie betonen den grundlegenden Unterschied zwischen Schule und Universität und die Notwendigkeit einer Einrichtung, deren Aufgabe die Pflege der Wissenschaften ist. (Die Menschen, die sich dem verschrieben haben, sollen einzig und allein der Wissenschaft leben und keine anderen Interessen verfolgen. Fichte beispielsweise begrüßt es, wenn Universitäten in kleinen Städten gegründet werden: dies verhindert die Ablenkung der Studiosi von ihren Studien.) Dies muß vor dem Hintergrund einer damaligen Diskussion gesehen werden. In Preußen waren Ende des 18.Jhd. zahlreiche Akademien entstanden, die nicht primär wissenschaftlichen Zwecken dienten: die Kriegsakademie, die Bergakademie (1770), die Bauakademie (1799), die Handelsakademie, die Akademie der Künste (1796), die Tierarzneischule (1790), das Ackerbauinstitut. Von ministerieller Seite kam der Vorschlag auf, "daß statt der Universitäten nur Gymnasien und Akademien für Ärzte, Juristen usw. sein sollten" (Justizminister v.Massow, 1799). Nach Schellings Vorlesungen über das akademische Studium ist jedoch die "Bestimmung der Akademien" gerade die, auf "genetische" Weise nicht nur Wissen, sondern auch den Weg dahin zu vermitteln. Hierin begründet sich auch notwendig die Einheit von Forschung und Lehre. Dies entspringt Schellings Wissensverständnis: alles Wissen entspringt "organisch" einem "Urwissen" und ist daher nur im Zusammenhang mit allem anderen Wissen verständlich. Humboldt und Schelling vertreten die freie Gestaltung des Studienablaufs und die gleichrangige "Gemeinschaft" der Lehrenden und Lernenden. Fichte hingegen hebt die Notwendigkeit einer Strukturierung des Studiums hervor, (auch um dem Sittenverfall unter der akademischen Jugend zu wehren...). Wenn die Universität nur dazu dient, Bücher zu rezitieren, führt dies zu nichts. Der "Zögling" kommt nicht "von selbst" zum Lernen und Forschen, er muß von einem "Meister" erst in die Kunst des Lernens eingewiesen werden. Die Universität ist die "Kunstschule des Verstandesgebrauchs". Einzig bei Fichte fanden sich Ausführungen zur Prüfungssituation. In dieser wird gelernter Stoff vorausgesetzt und geprüft, ob der Zögling ihn anzuwenden weiß. Fichte zeigt mit solchen Überlegungen eine Nähe zum praktischen universitären Alltag, die bei den anderen Autoren fehlt. Dennoch sind wir nicht so glücklich mit diesem autoritären Verhältnis von Zögling und Lehrer. Vollzieht sich Wissenserwerb nicht im Dialog? oder gibt es etwa den allwissenden Meister? und wo hat dann der erste Meister sein Wissen her? Warum muß immer der Meister die Fragen stellen? Liegt nicht die eigentliche Kunst darin, Fragenstellen zu lernen? und warum sollen die Zöglinge nicht selber fragen, was sie wissen wollen? Große Schwierigkeiten hatten wir mit der idealistischen Vorstellung, wahres Wissen gehe automatisch in Handeln über, da Wissen und Realität/Handeln nur zwei Seiten des Universums sind, die im Absoluten zusammengefaßt sind. Wahres Wissen wird somit direkt als Handeln in der Welt realisiert. Dies schien uns nun doch zu idealistisch. Es vernachlässigt die Einbettung von WissenschaftlerInnen und "Wissensproduktion" in gesellschaftliche und institutionelle Rahmen. Zudem gilt es zwischen den verschiedenen Wissenschaften zu differenzieren: wenn das Wissen um die Atombombe direkt umgesetzt wird, zeitigt dies andere Folgen, als wenn PhilosophInnen sich mit den Ursprüngen des Bildungsbegriffs befassen. Ganz abgesehen von dem Problem der unterschiedlichen materiellen Abhängigkeit und den damit verbundenen Steuerungsmöglichkeiten (Plato kann sich eigentlich jedeR mal ausleihen, Plutonium eigentlich nicht - allerdings scheint sich das ja gerade zu ändern...). Zwar betont Schelling die Verbundenheit allen Wissens miteinander, dennoch sehen wir hiermit noch nicht ausreichend begründet, daß beispielsweise PhysikerInnen in ihrem Studium ethische Fragestellungen bearbeiten. (Und zwar nicht in Form eines Feigenblattkurses "Ethik für NaturwissenschaftlerInnen"!) Die Geschichte der deutschen Universitäten hat unserer Ansicht nach eher gezeigt, daß die deutschen Professoren, pointiert gesagt, mehrheitlich zu "Mandarinen" (K.Singer) degenerierten, die im "Tempel der Wissenschaft" (T.Lenoir) nicht merkten, welchen Herren und wessen Interessen sie letztendlich dienten. Abgesehen von der anthropologischen Frage, ob der Mensch überhaupt fähig ist, nein zu sagen, wenn er Mist bauen kann, stritten wir uns am Ende trefflich darüber, was denn der "Transmissionsriemen" sei, über den all das Böse schließlich in der Welt umgesetzt wird (das Kapital? Macht? Geld?...) und ob er wohl durchgeschnitten werden kann... Die Frage, wie es wirklich an deutschen Hochschulen zuging um 1800 und welche Funktion ihr in Staat und Gesellschaft zukam, wollen wir auf den nächsten Sitzungen untersuchen. Interessant wird sein, zu klären, was von den Ansätzen überhaupt umgesetzt wurde und was letztendlich nur eine über Generationen tradierte "Lebenslüge" ist. Ein weiteres Ziel ist, abzugrenzen, was von den idealistischen Ansätzen zu übernehmen, zu modifizieren und zu verwerfen ist. Schriftliche Beiträge, noch lieber aber Interessierte sind immer willkommen; es werden sogar noch Leute gesucht, die sich an der Vorbereitung der Sitzungen zur Geschichte der Naturwissenschaften im 19.Jhd. beteiligen wollen. Wer einfach nur zuhören oder mitdiskutieren will, ist aber natürlich auch gerne gesehen. Aus: unimut Nr. 84 vom 8.6.1994
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